EU gespalten – Vertragsänderung der 27 gescheitert

09. Dezember 2011 Drucken

Brüssel (APA/red) – Im Kampf gegen die Schuldenkrise schließen 23 EU-Mitgliedstaaten einen verbindlichen Pakt für mehr Haushaltsdisziplin. Neben den 17 Euro-Staaten ziehen noch sechs Länder mit, die den Euro noch nicht haben. Eine große Lösung unter Einbeziehung aller 27 EU-Mitglieder ist beim Gipfel in Brüssel in der Nacht auf Freitag gescheitert. Das Konstrukt hat einen […]

Die Pläne aus Berlin und Paris wurden nur teilweise akzepitert. Mit dem "Njet" aus London wird für die Märkte eine Zweiteilung der EU unübersehbar.

Brüssel (APA/red) – Im Kampf gegen die Schuldenkrise schließen 23 EU-Mitgliedstaaten einen verbindlichen Pakt für mehr Haushaltsdisziplin. Neben den 17 Euro-Staaten ziehen noch sechs Länder mit, die den Euro noch nicht haben. Eine große Lösung unter Einbeziehung aller 27 EU-Mitglieder ist beim Gipfel in Brüssel in der Nacht auf Freitag gescheitert. Das Konstrukt hat einen entscheidenden Fehler: Die Briten machen nicht mit. London wird für die neue Fiskalgemeinschaft der EU-23 zum schwierigen Partner.

In der EU werden sich nur 23 der 27 EU-Staaten den strengen Vorgaben bei der Kontrolle der Staatsfinanzen anschließen. Die 17 Euro-Länder und sechs weitere EU-Staaten wollen einen separaten Vertrag für mehr Haushaltsdisziplin schließen, um so der Euro-Krise entgegenzuwirken. Die Euro-Staaten wollen sich laut Textentwurf zudem verpflichten, ihr strukturelles Defizit auf maximal 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zu begrenzen. Zugleich hatten sich Berlin und Paris für ein Vorziehen des dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM ausgesprochen, der ursprünglich erst Mitte 2013 den derzeitigen Rettungsfonds EFSF ablösen sollte. Der frühere Start sei aber noch in der Debatte, sagten EU-Diplomaten.

Großbritannien und Ungarn machen nicht mit
„Wir hätten eine Vertragsänderung zu 27 bevorzugt, aber das war nicht möglich“, sagte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy Freitagfrüh. Großbritannien und Ungarn wollten die Änderung des Vertrages von Lissabon nicht mittragen. Schweden und die Tschechische Republik müssten ihre Parlamente konsultieren. Die Forderung des britischen Premierministers David Cameron, als Gegenleistung für ein Ja zur Vertragsänderung eine Ausstiegsklausel aus Finanzregulierungen der EU zu bekommen, sei nicht akzeptabel, ergänzte Sarkozy.

Großbritanniens Premier: „Njet“
Premierminister Cameron setzte auf nationale Interessen und verteidigte seine Blockadehaltung beim EU-Krisengipfel. „Es war eine harte Entscheidung, aber die richtige“, sagte Cameron Freitagfrüh. „Was geboten wird, ist nicht im Interesse Großbritanniens, deshalb habe ich nicht zugestimmt.“ An der Ablehnung Londons ist vorerst eine Lösung unter Einbeziehung aller 27 EU-Staaten gescheitert, mehr Haushaltsdisziplin zu verankern.
Zugleich betonte Cameron, dass sein Land auch in Zukunft die Gemeinschaftswährung Euro nicht einführen wolle. Ebenso habe London nicht die Absicht, dem Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen beizutreten. „Ich bin glücklich, nicht in Schengen zu sein, und glücklich, nicht den Euro zu haben.“ Zum Vorhaben der anderen Staaten für einen zwischenstaatlichen Pakt zur Rettung des Euro sagte Cameron lapidar: „Wir wünschen ihnen alles Gute.“ Der britische Premier warnte aber vor rechtlichen Problemen: „Es gibt immer Gefahren, wenn man einen Vertrag innerhalb eines Vertrages schließt.“

200 Mrd. Euro für IWF
Die Staats- und Regierungschefs vereinbarten kurzfristige Maßnahmen, um die Eurowährung glaubwürdiger und stabiler zu machen. So sollen für den Internationalen Währungsfonds 200 Milliarden Euro verfügbar gemacht werden, damit die Washingtoner Finanzfeuerwehr dann ihrerseits Euro-Staaten in Not beistehen kann. Das Geld soll von den Zentralbanken zur Verfügung gestellt werden. Sarkozy sagte, Großbritannien habe zugunsten seiner Finanzwirtschaft „inakzeptable Forderungen“ gestellt. Es werde sich deshalb ebenso wie Ungarn nicht dem angestrebten neuen Vertrag anschließen. Diplomaten meinten aber, dass sich Budapest noch bewegen könnte. Schweden und Tschechien wollten erst ihre Parlamente konsultieren.
Besonders Berlin und Paris hatten auf eine Veränderung der EU-Verträge gepocht, um rechtsverbindliche Regeln zum Schutz der bedrohten Eurowährung festzuschreiben. EU-Ratspräsident Van Rompuy sagte: „Verträge zwischen Regierungen können schneller gebilligt werden als Vertragsveränderungen. Geschwindigkeit ist wichtig, um glaubwürdig zu sein.“ Deutschlands Kanzlerin Merkel lobte den Kompromiss als „sehr gutes Ergebnis“.

Markt zweifelt an Lösung
Das nun vereinbarte Vorgehen innerhalb der Eurogruppe birgt nach Ansicht von Experten aber zahlreiche rechtliche Probleme, denn die Bestimmungen dürfen Regeln der EU-Verträge nicht widersprechen. Die Staats- und Regierungschefs vereinbarten auch, dass die Ausleihkapazität des Krisenfonds EFSF mittels eines Kredithebels bald ausgeweitet wird. Geplant ist eine Verdreifachung auf etwa 750 Milliarden Euro. Der dauerhafte Europäische Stabilitätsmechanismus ESM soll um ein Jahr auf Juli kommenden Jahres vorgezogen werden.

In Zukunft keine Einbeziehung der Banken und Versicherungen mehr
Die EU gesteht auch ein, dass die Einbeziehung von Banken und Versicherungen bei der Rettung Griechenlands ein Fehler war. Dieses Verfahren soll nicht mehr für andere Länder angewendet werden, da es zur Verunsicherung der Märkte führte.
Keine Einigung gab es in der Debatte um gemeinschaftliche europäische Anleihen, die sogenannten Eurobonds. Van Rompuy, Barroso und Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker werden bis zum nächsten Juni einen Bericht dazu vorlegen.