Der Kampf um die Marktanteile im Telekommunikationsgeschäft spitzt sich zu. Denn mächtige Anbieter von Online-Plattformen und -Diensten für Smartphone-Nutzer drängen in das Geschäftsfeld der traditionellen Telekommunikationsgesellschaften. Dies könnte langfristig dramatische Folgen haben. So erwarten Experten Umsatzeinbußen von bis zu 20 Prozent für die Branche in Europa; deren EBITDA könnte sogar um 40 Prozent nachgeben. Um diesem Szenario entgegenzuwirken, müssen Telekommunikationsunternehmen ihr Kerngeschäft mit dem Netzzugang (Access) neu ausrichten, auf neue Wachstumsfelder setzen und ihre operativen Modelle verschlanken. Angesichts der erforderlichen Infrastrukturinvestitionen von bis zu 600 Milliarden Euro bis 2020 müssen die europäischen Telekommunikationskonzerne außerdem schlankere Unternehmensstrukturen schaffen, die Konsolidierung ihrer Heimatmärkte vorantreiben und neue Kooperationen eingehen. Das sind die zentralen Ergebnisse der Studie „Telco 2020 – How Telcos transform for the Smartphone Society“ von Roland Berger Strategy Consultants.
Internetanbieter drängen europäische Telekommunikationskonzerne aus dem Markt
Die Top 5 der Unternehmen im Internetgeschäft – Amazon, Apple, Facebook, Google und Microsoft – zählen heute weltweit schon über drei Milliarden Kunden in den Bereichen Endgeräte, Commerce, Social Media, Onlinesuche und Inhalte. Tendenz steigend. Ihr erfolgreiches Geschäftsmodell basiert hauptsächlich auf starken Marken, bedienerfreundlichen Systemen und einer vorteilhaften Nutzung von Kundendaten. Dadurch setzen Internetanbieter die traditionelle Telekommunikationsbranche zunehmend unter Druck.
Kerngeschäft schrumpft
Das Breitbandangebot als Kerngeschäft der Telco-Branche ist trotz erheblichen Volumenwachstums durch den Preisverfall stark belastet. Kunden sind nicht mehr bereit, für den reinen Internetzugang zu bezahlen; sie möchten personalisierte, nutzerfreundliche Kommunikationsplattformen und produkte, heißt es in der Untersuchung.
Starke Umsatzrückgänge belasten die Branche
Die europäische Telekommunikationsindustrie ist von diesem Trend besonders betroffen. So gehen die Experten von Roland Berger davon aus, dass die Branche bis 2020 einen Umsatzrückgang von bis zu 20 Prozent erleben wird, sollte sie auf dem aktuellen Geschäftsmodell beharren. Das EBITDA der europäischen Telekommunikationskonzerne würde sogar um 40 Prozent sinken.
Um dieser negativen Entwicklung entgegenzuwirken, ist ein Investitionsvolumen von bis zu 600 Milliarden Euro notwendig. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Entwicklung innovativer Produkte. Der Hauptteil der Investitionen wird – wegen des starken Wettbewerbs der Kabelanbieter mit ihren 100 Mbit-Angeboten – in neue Netztechnologien für die Hochgeschwindigkeitsübertragung wie Glasfasernetzwerke und LTE fließen.
Die Geschäftsmodelle der Zukunft
Um auf dem hart umkämpften Markt wettbewerbsfähig zu bleiben, sollten Telekommunikationsanbieter ihre Geschäftsmodelle zudem insgesamt verschlanken und neu ausrichten. Dabei unterscheiden die Experten von Roland Berger drei mögliche Szenarien:
- „Access Minus“: In diesem Szenario bieten Telekommunikationsunternehmen lediglich den Netzwerkbetrieb an und haben nur mit wenigen Endkunden direkten Kontakt. Dienste von Cloud- und OTT(over the top)-Anbietern werden hingegen mit starken Marken geliefert. Bei diesem Szenario konzentrieren sich Telekommunikationsunternehmen auf ihre Kernbereiche; bei Innovation und Produktentwicklung beschränken sie sich hauptsächlich auf die Netzwerktechnologie.
- „Access Plus“: Hier bieten Unternehmen nicht nur den eigenen Netzwerkbetrieb an, sondern auch ausgewählte Mehrwertdienste in Partnerschaft mit B2B2C- und OTT-Anbietern. Netzwerke an sich werden zu einer Commodity und deshalb von Telekommunikations-, Kabel- und Versorgungsbetrieben geteilt. Aus Effizienzgründen werden Vertriebs- und Dienstleistungen vom Netzwerk getrennt.
- „OTT Service Groups“: Telekommunikationsunternehmen als völlig integrierte Anbieter drängen mit eigenem Access-zentrierten Ökosystem und eigenen B2B2C-Modellen in die vernetzte Welt. Durch ihre starken Marken positionieren sie gegenüber den OTT-Anbietern vorteilhaft auf dem Markt. Wenige regionale Gruppen sind in der Lage, die notwendigen Skaleneffekte durch eine aktive Konsolidierung zu erlangen.
Infrastruktur bleibt Backbone
Allerdings wird der Netzzugang auch in Zukunft die tragende Rolle im Geschäft der europäischen Telekommunikationsanbieter spielen. Er sorgt heute für einen Umsatz von rund 300 Milliarden Euro; davon entfallen zwei Drittel auf die mobile Kommunikation. Inwieweit sich dieser Umsatz stabilisieren lässt oder weiter schrumpfen wird, hängt nicht nur von den Entscheidungen der Telekommunikationsunternehmen ab, sondern auch vom künftigen regulatorischen Umfeld.