Die Innovationskraft der Autoindustrie beginnt, die Kunden zu überfordern. Das Gespenst des „Overengeneerings“ lässt nach Ansicht einer Studie von Oliver Wymann viel von der Gestaltungskraft der eingesetzten Mittel verpuffen. Neue Entwicklungen am Autosektor sind nur dann erfolgreich, wenn sie für frischen Kundennutzen und für Emotionen sorgen. Laut Schätzungen der Analysten beliefen sich die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in der Automobilindustrie auf mehr als 100 Milliarden Euro. Dies entspricht nahezu dem Bruttoinlandsprodukt von Ungarn. In den kommenden Jahren wird dieser Anteil weiter steigen – und finanzschwächere Mitbewerber aus dem Spiel nehmen.
Kundennutzen und Beherrschbarkeit
Es gilt, bei Innovationsvorhaben in der Automobilbrnache Überschaubarkeit und einfache Handhabung von Fahrzeugfunktionen über technische Neuerungen zu stellen und das Pricing konsequent an die Bedürfnisse ihrer Klientel anzupassen. Den großen Unterschied wird jedoch der Kundennutzen machen. Wem es gelingt, ein allumfassendes Kundenerlebnis zu schaffen und zu vermarkten, hat in Zukunft einen klaren Wettbewerbsvorteil. Dies sind Ergebnisse der Oliver Wyman-Studie „Fahrzeuginnovation: Vorfahrt für das Kundenerlebnis“.
Weltweites F&E-Budget: 100 Milliarden Euro oder 4-5 % der Kosten
Laut Schätzungen von Oliver Wyman beliefen sich die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung 2012 in der Automobilindustrie auf mehr als 100 Milliarden Euro. Dies entspricht nahezu dem Bruttoinlandsprodukt von Ungarn. Zu den Gesamtkosten der OEMs steuert der F&E-Bereich heute durchschnittlich vier bis fünf Prozent bei. In den kommenden Jahren wird dieser Anteil weiter steigen. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass sich technische Innovationskraft allein in Zukunft für OEMs immer weniger auszahlt. Der Grund: Immer komplexere technische Neuerungen und steigende Funktionalität im Auto stoßen bei Kunden kaum noch auf Gegenliebe. Die Fahrzeuge werden immer teurer, die Bandbreite an Produkten und Features ist kaum mehr zu überblicken und Zusatzoptionen werden oftmals als überflüssig empfunden. Sie bleiben meist ungenutzt, müssen aber vor allem bei Premiumfahrzeugen bezahlt werden. Darüber hinaus ist die Fülle von Modellvarianten mit unterschiedlichster Ausstattung kaum noch überschaubar. Die Konfiguration eines Autos ist längst eine Wissenschaft für sich.
Efizienz und Sicherheit: Betriebswirtschaft schlägt immer noch Ökologie
Die aktuelle Oliver Wyman-Studie zeigt, dass Kunden über alle Fahrzeugsegmente hinweg in puncto Innovationen den klassischen Themen Kraftstoffeffizienz und Sicherheit nach wie vor größte Bedeutung beimessen – dies jedoch nicht aus ökologischen Gründen, sondern vielmehr vor dem Hintergrund der Kosten. So hat für nahezu alle der rund 2.000 befragten Autonutzer in den etablierten Automobilmärkten Europa, USA und Japan/Südkorea eine kostengünstige Fahrzeugnutzung oberste Priorität. Neben dem Kostenaspekt sind für mehr als 60 Prozent Sicherheitsfunktionen wie automatische Gefahrenmeldung oder Bremsassistenten zur Vermeidung von Unfällen wichtig.

Effizienz und sicherheit sind Selbstverständlichkeiten. Die Differenzierenzierung liegt im Zusatz-Nutzen. | © Oliver Wyman (zumm Vergrößern bitte anklicken)
Emotion wird zum Differenzierungsmerkmal
Im Gegensatz zur Kundenbefragung spielen diese Themen aus Sicht der befragten OEMs, Automobilzulieferer und Mobility Provider zwar eine wichtige Rolle, sind aber in Zukunft Hygienefaktoren, sprich: absolutes Muss ohne Differenzierungsmöglichkeit. Dafür sehen mehr als 80 Prozent der befragten Automobilexperten die Notwendigkeit, sich bei Fahrzeuginnovationen künftig verstärkt auf das umfassende Kundenerlebnis zu fokussieren. Die Autobauer erleben den gleichen Paradigmenwechsel wie die Handyhersteller Mitte der letzten Dekade. „Auch in der Automobilindustrie muss künftig die Faszination des technisch Machbaren klar zugunsten von Kundennutzen und Kundenerlebnis weichen“, so die Studie.
Neue Trends für mehr Kundennutzen
Entsprechend wird Fahrzeuginnovation in den kommenden Jahren ganz im Zeichen von vier globalen Trends stehen, die die Kundenbedürfnisse schon in der Forschungs- und Entwicklungsphase verstärkt in den Vordergrund rücken.
- Zu diesen Trends zählt zunächst stressfreies und entspanntes Fahren durch Schaffung eines angenehmen Fahrerlebnisses für alle Fahrzeuginsassen.
- Darüber hinaus gewinnen Features und Services an Bedeutung, die das Auto intermodal in den Alltag der Nutzer einbetten und über die reine Fahrzeugnutzung hinausgehen.
- Hinzu kommt die nachhaltige Reduzierung von Komplexität, die von den Modellangeboten über die Konfigurationstools bis hin zur Installation und Anwendung der Features reicht.
- Und schließlich gewinnt „No-Frill-Pricing“ an Bedeutung. Der Kunde erhält ein hochwertiges Fahrzeug mit für ihn wichtiger und nützlicher Funktionalität zu einem entsprechenden Preis.
Differenzierungsmöglichkeiten ausloten
Innovationen sind nicht mehr das geeignete Mittel der Differenzierung. Zum Erfolgsfaktor wird vielmehr ihre individuelle Bündelung zu einem einzigartigen Kundenerlebnis mit einfacher Handhabung. Durch die Möglichkeit, die Innovationen flexibel mit den einzelnen Fahrzeugmodellen zu kombinieren, wird Nutzen für jeden einzelnen Kunden geschaffen – vom designverliebten Familienvater bis hin zum sicherheitsorientierten Technikfreund.
Verkaufsprozess muss Kunden beeindrucken
Wichtiger Erfolgsfaktor der Zukunft ist, das Kundenerlebnis der Fahrzeuge allumfassend zu vermarkten. Dies beginnt in dem Moment, da der Kunde sich mit der Anschaffung eines neuen Autos befasst, setzt sich im Verkaufsprozess fort und geht schließlich bis hin zur tatsächlichen Nutzung der Fahrzeugfunktionalität. „