Brexit: Jetzt haben alle Angst vor der globalen Krise

06. Juli 2016 Drucken
Brexit: Jetzt haben alle Angst vor der globalen Krise
Das britische Pfund hat nach dem Brexit massiv an Wert verloren. |© APA © APA

Die politische Hängepartie nach dem britischen EU-Austrittsvotum hält die Finanzwelt und die Währungshüter in Atem. In den USA sprach das Notenbank-Führungsmitglied William Dudley vom Brexit als einer der „dunkelsten Wolken“ am Konjunkturhorizont. Womöglich wird durch diese Sorge die angepeilte Zinserhöhung in den USA dieses Jahr abgeblasen, wie viele Anleger bereits vermuten. Pfund sinkt weiter – […]

Die politische Hängepartie nach dem britischen EU-Austrittsvotum hält die Finanzwelt und die Währungshüter in Atem. In den USA sprach das Notenbank-Führungsmitglied William Dudley vom Brexit als einer der „dunkelsten Wolken“ am Konjunkturhorizont. Womöglich wird durch diese Sorge die angepeilte Zinserhöhung in den USA dieses Jahr abgeblasen, wie viele Anleger bereits vermuten.

Pfund sinkt weiter – Exit vom Brexit?

Die politische Krise in Großbritannien nach dem Referendum lastete weiter auf den Aktienmärkten von Frankfurt bis Tokio. Das Pfund Sterling fiel auf ein 31-Jahres-Tief von 1,2801 Dollar. Es sei fraglich, ob London den Ausstieg aus der EU überhaupt offiziell beantragen werde, sagte Commerzbank-Expertin Thu Lan Nguyen. Dies gelte vor allem für den Fall, dass Innenministerin Theresa May das Amt von Premier David Cameron übernehme. Sie liegt bei der internen Kür der Konservativen für die Nachfolge des scheidenden Regierungschefs vorn. May wird eher dem Lager der EU-Befürworter zugerechnet, will das Ergebnis des Referendums nach eigenem Bekunden jedoch respektieren. Die konservativen Abgeordneten sollen in mehreren Wahlrunden zwei Kandidaten bestimmen, die sich dann im September den etwa 150.000 Parteimitgliedern in einer Stichwahl stellen. Cameron hatte nach dem Referendum vom 23. Juni seinen Rücktritt bis spätestens Oktober angekündigt.

Klarheit gefragt

Frankreichs Notenbank-Chef Francois Villeroy de Galhau fordert rasch Klarheit über die weiteren Schritte nach dem Brexit-Votum. Je schneller das geschehe, desto besser. Rosinenpickerei bei den Verhandlungen mit der EU über die künftigen Handelsbeziehungen könnten die Briten nicht erwarten. Ein Brexit werde zwar Auswirkungen auf die Wirtschaft in der Eurozone haben. Die Folgen würden aber moderater ausfallen als in Großbritannien.

Sinkende Autonachfrage spürbar

Die Autobranche auf der Insel klagt bereits über eine sinkende Nachfrage und fordert Hilfe von der Politik. „Es ist wichtig, dass die Regierung jeden Schritt einleitet, um das Vertrauen in die Wirtschaft wiederherzustellen, damit der Markt in den nächsten Monaten nicht schrumpft“, sagte der Chef des Branchenverbands der Autohersteller und -händler, Mike Hawes. Wirtschaftsminister Sajid Javid will mit Steuersenkungen für Unternehmen und die Bürger einen Konjunktureinbruch verhindern. Er will zudem einen bis zu 100 Mrd. Pfund (118 Mrd. Euro) schweren Wachstumsfonds auflegen.

Stabilität der EU steht in Frage

Das Brexit-Votum sollte nach den Worten des spanischen Notenbank-Chefs Luis Maria Linde zum Nachdenken über die Zukunft der EU führen. Es sei derzeit jedoch noch zu früh, um die Folgen für Stabilität und Konjunktur in der Eurozone abzuschätzen, betonte Linde in Madrid. Auch jenseits des Atlantiks herrscht Sorge: „Falls es an den Finanzmärkten zu größeren Ansteckungseffekten kommen und die Stabilität der Europäischen Union infrage gestellt werden sollte, wären das gravierende Konsequenzen“, warnte Fed-Währungshüter Dudley, der die Notenbank in New York führt. Fed-Vizechef Stanley Fischer hatte jüngst gesagt, der Verlauf der heimischen Konjunktur sei für die Geldpolitik wichtiger als das Votum der Briten. Dennoch wird an den Märkten die Wahrscheinlichkeit eher gering eingeschätzt, dass die Fed den Leitzins von derzeit 0,25 bis 0,5 Prozent dieses Jahr wie eigentlich geplant anheben wird.

Britische Notenbank besorgt – Immobilienfonds kämpfen gegen Kapitalflucht

Die Unsicherheit über die Folgen der Brexit-Abstimmung hatte am Dienstag schon die britische Notenbank auf den Plan gerufen. So warnte die Bank von England vor gravierenden Folgen für die Finanzstabilität des Landes. Sie lockerte zudem mit sofortiger Wirkung die Kapitalregeln für Banken. Erste Schockwellen des Referendums haben bereits den Immobiliensektor erfasst: Die beiden Investmentgesellschaften der Versicherer Aviva und Standard Life froren jüngst jeweils einen milliardenschweren Immobilienfonds ein, weil die Anleger zu viel Geld auf einmal abziehen wollten und es Sorgen vor einem Liquiditätsengpass gab.

Die Welt des Nigel Farage

Der Europaabgeordnete und Brexit-Verfechter Nigel Farage erwartet hingegen von dem Austritt Großbritanniens aus der EU keine Nachteile für die britische Wirtschaft. Großbritannien sei derzeit in einer „völlig überholten Zollunion“ mit der EU verfangen, sagte Farage am Mittwoch vor Journalisten in Straßburg. Die Folge sei, dass 88 Prozent der britischen Wirtschaftsakteure nicht exportierten. Nun sei Großbritannien wieder ein „freies Land“, das eigene Handelsabkommen mit anderen Staaten abschließen könne, sagte Farage. Der künftige britische Regierungschef müsse „mit starker Hand“ über die Handelsbeziehungen mit der EU verhandeln, sagte der Brite von der europafeindlichen Partei Ukip in dem bis auf den letzten Platz besetzen Pressesaal des Europaparlaments weiter. Er sei zuversichtlich, dass dabei gute Ergebnisse für Großbritannien herauskämen. Schließlich würden auch die französischen Wein- und Champagnerproduzenten und die deutschen Autobauer entsprechenden Druck ausüben. „Der Kunde ist König, und wir sind der Kunde“, sagte Farage.

„Mission accomplished“

Zugleich verteidigte er seine viel kritisierte Entscheidung, als Ukip-Chef zurückzutreten. Mit dem Ja zum Brexit bei dem Referendum sei seine „Mission erfüllt“, sagte er. Sein Mandat im Europaparlament wolle er behalten, um die Austrittsverhandlungen als Abgeordneter zu begleiten. Er hoffe, dass Großbritannien nun rasch den Artikel 50 des EU-Vertrags aktiviere und damit die Brexit-Verhandlungen einleite. (APA)