Die Digitalisierung bringt neue Geschäftsmodelle und frische Produktionsmethoden in die Autoindustrie. Konzerne und Zulieferer können davon profitieren – aber auch verlieren.
Neue Formen der Mobilität
Das deutsche Consulting-Unternehmen Berylls hat fünf zentrale Themenfelder der digitalen Autoproduktion zusammengetragen: Neue Erlösmodelle und Geschäftsmodelle nach dem Vorbild von Google, Apple, Uber oder AirBnB sollen schon bald das Portfolio der Automobilhersteller abrunden. Aber es drohen auch Gefahren: neue Plattformen drängen sich zwischen Automobilhersteller und Kunde, sowohl im Vertrieb als auch beim After Sales. Gleichzeitig entstehen neue Angebote für innovative Mobilitätsdienstleistungen, die nicht nur das Vertriebs- und Servicemodell der Automobilhersteller angreifen. Diese Mobilitätsplattformen positionieren sich darüber hinaus als eigene Marken und marginalisieren in diesem Zuge die Marken der Automobilhersteller.
Stärken und Schwächen
Jeder Automobilhersteller muss sich nach Ansicht des Münchner Automoitice-Consulters über seine Perspektive in fünf zentralen Themenfeldern klar werden:
- Autonomes Fahren,
- Elektromobilität,
- Mobilitätsdienstleistungen,
- Connectivity als zentrales verbindendes Element, und
- das alles unterstützt durch Big Data.
Connectivity darf nichts kosten
Im Mittelpunkt der Betrachtung steht der Endkunde, der über sein Fahrzeug, aber auch über andere Devices mit dem Automobilhersteller verbunden ist. In vielen Fällen wird diese „Connectivity“ noch immer als singulär gewinnbringendes Business Case Element verstanden. Laut Berylls wollen die Kunden aber nicht extra, d.h. zusätzlich zu ihrem Mobilfunkvertrag, dafür bezahlen. Darüber hinaus erwarten sie eine Basisausstattung an kostenlosen 0nline-Diensten, so wie sie es von ihrem Smartphone gewöhnt sind. Laut Berylls würden nur 32 Prozent der Käufer Connectivity-Dienste zusätzlich zu präferierten Sonderausstattungen wie Alu-Felgen oder Sonderlackierungen bestellen. In China sind es 67 Prozent.
Nice to have
In beiden Märkten ziehen über 70 Prozent aller Neuwageninteressenten die Möglichkeit vor, lediglich eine Basislösung oder die reinen technischen Voraussetzungen für ihr Neufahrzeug zu bestellen, um dann spezifische ConnectivityDienste später nachzurüsten. Die bei fast allen Automobilherstellern einzig aktuell verfügbare Variante, umfangreiche Connectivity-Lösungen direkt mit dem Fahrzeugkauf zu erwerben, wird dagegen von weniger als einem Viertel alle Befragten favorisiert. Hier drohen empfindliche Einbußen bei der Kundenloyalität.
Elektromobilität nimmt schneller an Bedeutung zu
Connectivity ist in erster Linie ein Enabler, dessen Funktionalität entscheidend für die angrenzenden Themenfelder der Digitalisierung ist. Elektromobilität ist dafür ein Beispiel. Die Trechnologie nimmt mit Plug-in-Hybriden und batterieelektrischen Fahrzeugen in den nächsten Jahren deutlich Fahrt auf. Mit Blick auf die aktuell intensiv geführte Diskussion um Realverbräuche und -emissionen, künftige C02 Flottenemissionen in Europa oder Quotenregelungen für Elektrofahrzeuge in den USA müssen die OEMs den Anteil elektrifizierter Fahrzeuge sogar früher und mit einer breiteren Produktpalette steigern als bisher geplant. Dabei steht und fällt die Attraktivität von Elektrofahrzeugen mit innovativen Connecticity-Lösungen und cleveren online-Features, die einen einfachen, flexiblen und zuverlässigen Zugang zu einer öffentlichen (Schnell-)Ladeinfrastruktur ermöglichen.
Neue Formen der Mobilität
Das zweite strategisch relevante Themenfeld der Digitalisierung sind Mobilitätsdienstleistungen. Hier spannt sich ein weites Feld auf: Prominent sind hierzulande das Car-Sharing in seinen verschiedenen Erscheinungsformen wie Freel float, zonenbasiert, stationär und Peer-to-Peer sowie verschiedenen Varianten des Ridesharing. Seit einiger Zeit sorgt hier der Taxidienst Uber für Furore. Dabei wird jedoch oft übersehen, dass in Asien neue Mobilitäts-Giganten entstehen, die hierzulande weitgehend unbekannt sind: Die nach einer Fusion größte Taxi-Plattform Chinas, Didi Kuaidi, hat bereits mehr als 1 Millionen Fahrzeuge auf ihrer Plattform und über 100 Millionen registrierte Nutzer. Das Unternehmen hat Uber offen den Kampf um die globale Herrschaft über den Taxi-App-Markt erklärt.
Neue Buchungs- und Zahlungsplattformen
Darüber hinaus arbeiten Anbieter wie Moovel (Daimler), Quixxit (Deutsche Bahn), Ally oder Citymapper daran, verschiedene Angebote unter einer Buchungs- und Abrechnungsplattform zu integrieren. Noch machen all diese neuen Mobilitätskonzepte weniger als 1 Promille des Aufkommens am motorisierten Individualverkehr aus. Bis zum Jahr 2025 jedoch wird das Thema seinen Durchbruch erleben. Das autonome Fahren kombiniert mit Online-Diensten, die ein unkompliziertes 0rten von Fahrzeugen, Buchen sowie Bezahlen ermöglichen, reduziert die erforderliche Flottengröße zur Abdeckung eines Betriebsgebiets um mindestens 50 Prozent. Berylls schätzt, dass 10 Prozent des motorisierten Individualverkehrs, die über diese Mobilitätskonzepte abgewicklet werden könnten, ca. 35 Milliarden Euro Umsatz alleine in Deutschland bedeuten würden. Unternehmen wie Google und Amazon stoßen daher über Beteiligungen an Uber in diesen Bereich vor. Für die OEMs bedeutet dies, ihre Position im Mobilitätsmarkt abzusichern.
Autonom und vernetzt
Das dritte Themenfeld der Digitalisierung ist das autonome Fahren, das eine breitbandige Vernetzung für den Austausch größerer Datenmengen erfordert, um auch „off-board Intelligenz“ zu nutzen: Droht etwa hinter der nächsten Kurve ein Stau oder Aquaplaning, oder hat sich ein Unfall ereignet? Auch wenn es noch dauert: bis spätestens 2035 ist mit einem rasanten Anstieg des weltweiten Marktanteils hoch- oder voll-automatisierter Fahrzeuge auf etwa 20 Prozent zu rechnen, was gut 35 Millionen Fahrzeugen entspräche. Bestes Beispiel sei das Google Car, heißt es: Kernkompetenz sind das Betriebssystem inklusive Sensor-Datenfusion, d.h. der Auto-Pilot selbst. Alle anderen Komponenten und Systeme des Fahrzeugs lassen sich über Zulieferer realisieren. Engineering-Dienstleister können die Gesamtfahrzeugintegration übernehmen. Netzbetreiber, Content Provider oder Vernetzungsspezialisten besetzen dann Schlüsselpositionen in der automobilen Wertschöpfungskette.
Big Data und digitale Transformation
Die diskutierten Themenfelder haben eines gemein: Sie sind außerordentlich datenintensiv. Perfektion in Produktfunktionalität und Angebotsvielfalt wird zudem ohne ein tieferes Verständnis der Kundenwünsche nicht mehr ausreichen. Die Automobilindustrie hinkt jedoch in puncto Datenanalytik-Kompetenz im Vergleich zu anderen Industrien deutlich hinterher. Das macht sie bei derart datengetriebenen Geschäftsmodellen angreifbar, so Berylls.