Elektromobilität und autonomes Fahren reduzieren den Bedarf an Reparaturen, Wartung und Ersatzteilen um bis zu 76 Prozent gegenüber konventionellen Autos. Dadurch kommt die klassische Cashcow der OEMs, das Ersatzteil- und Servicegeschäft im Aftersales-Bereich, stark unter Druck.
Neue datengetriebene OEM-Geschäftsmodelle und der immer noch wachsende Fahrzeugbestand sind unverändert wichtige Umsatztreiber. Weltweit wächst der Umsatz im Aftersales Business bis 2035 von heute 579 auf 775 Milliarden Euro, heißt es in der Berylls Studie „Quo vadis OEM Aftersales?“. Aber das wird nicht so bleiben.
Digitale Geschäfte verändern Aftersales-Bereich
Die digitale Transformation macht vor dem Aftersales Geschäft nicht Halt. Dabei überdecken die weltweit wachsenden Zulassungszahlen den Veränderungsprozess noch für eine beschränkte Zeit. Aber E-Mobilität und autonomes Fahren in Shared-Flotten lassen die Aftersales-Erlöse um bis zu 76 Prozent einbrechen, weil der Bedarf für Reparaturen, Wartung und Ersatzteile drastisch zurückgeht. Zudem schalten sich Anbieter für Online-Services in die Wertschöpfungskette ein, was den Marktanteil und die Margen von OEMs und Handel schmelzen lässt.
Neue Geschäftsbereiche entstehen
Die Entwicklungen im Bereich „Connectivity“ und „Shared Mobility“ bieten aber Chancen. Die Berylls Studie attestiert allein für Shared Mobility Konzepte bis 2035 ein Umsatzpotenzial von 320 Milliarden Euro. Eine vorausschauende Wartung, die Pannen verhindern kann, gehört unter anderem zu diesen Angeboten. Unternehmen die daran teilhaben wollen, müssen jedoch in neue Technik investieren, ihre Kundenorientierung schärfen und die Prozesse datengetrieben ausrichten.
Absehbarer Umbruch
2035 werden weltweit etwa 1,5 Milliarden Autos unterwegs sein, 50 Prozent mehr als heute, und die meisten von ihnen sind mit einem klassischen Antriebsstrang ausgestattet. Sie brauchen weiterhin einen Service mit kurzen Wartungsintervallen, Luft- und Ölfiltern, Zahn- und Keilriemen etc. Es sieht also ganz so aus als wäre die Welt des Autohandels und der OEM-Servicepartner in bester Ordnung, das Geschäftsmodell noch für Jahrzehnte gesichert. Laut Berylls ist dies aber ein Irrtum.
E-Mobilität braucht fast keine Wartung
Die digitale Vernetzung von Auto und Kunde, Shared Mobility Angebote und die stetig wachsende Bedeutung der E-Mobilität, werden das Aftersales Business in den entwickelten Ländern schon in den nächsten Jahren auf den Kopf stellen, wie die Berylls Studie zeigt. Ein Blick auf das E-Auto macht deutlich, warum das so ist. Denn es braucht fast keine Wartung, muss daher extrem selten in die Werkstatt. Und wenn es doch einmal zum Service vorbeischaut, sind kaum Verschleißteile zu ersetzen. An einem konventionell angetriebenen Auto lässt sich heute im Durchschnitt pro Jahr etwa 790 Euro Umsatz erzielen, bei einem E-Auto sinkt dieser Betrag auf nur noch 540 Euro. Die Berylls Studie zeigt, dass rund ein Drittel des globalen Service-Gesamtumsatzes derzeit allein im Antriebsstrang erwirtschaftet wird. Davon bleibt praktisch nichts übrig.
Autonomes Fahren drückt Service-Kosten weiter
Robotaxen sind noch einmal erheblich anspruchsloser als nicht autonome-E-Mobile. Ihr Service-Umsatz sinkt noch einmal kräftig und wird jährlich im Durchschnitt nicht mehr als 260 Euro zum Aftersales Geschäft betragen. Weil mit zunehmender Fähigkeit zum autonomen Fahren zudem die Unfallreparaturerlöse zurückgehen. Reparaturumfänge und Ersatzteilbedarf werden massiv schrumpfen. Ein Umsatzeinbruch um bis zu 76 Prozent ist zu erwarten.
Noch ist Zeit
Doch diese Veränderungen geschehen nicht von heute auf morgen und sie werden sich beginnend in den großen Metropolen voraussichtlich langsam in der Fläche ausbreiten. Den Herstellern und Servicebetrieben bleibt also Zeit sich anzupassen.
Erste Stagnationserscheinungen
Für die Studie befragte Berylls 30 Topmanager die im Aftersales Geschäft tätig sind, nach ihren Erwartungen und ihrer Einschätzung der kommenden Veränderung. Diese Aussagen wurde durch detaillierte Marktanalysen und Berylls eigene Prognosen ergänzt, um die mittel- und langfristige Entwicklung der Aftersales Geschäfte aufzuzeigen.
Die Einschätzungen wie Entwicklungen fallen dabei regional sehr unterschiedlich aus. Während der chinesische Aftersales-Markt in den nächsten Jahren um etwa 3,8 Prozent wachsen wird, prognostizieren die Berylls-Experten für den europäischen Gesamtmarkt und die USA weniger als ein Prozent Wachstum, in Deutschland sehen sie sogar leicht rückläufige Umsätze.
OEMs hadern mit Entwicklung
Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Mehrheit der befragten Manager nur unzureichend auf die digitale Transformation vorbereitet sieht. Dennoch bewerten drei von vier branchennahe Topmanager Big Data, künstliche Intelligenz und Connectivity als wichtige Wegbereiter für neue und profitable Aftersales-Geschäftsmodelle. Das Verständnis für diese Case-Themen ist freilich bei neuen Playern im Aftersalesmarkt vielfach höher als bei den Machern der klassischen Autowelt. Mobilitätsanbieter wie Uber oder Lyft besitzen hier einen Vorsprung. Sie setzen seit Jahren auf app-basierten Diensten und Connectivity.
Innovative Service-Konzepte gesucht
Im Kundenkontakt sieht Berylls eine große Stärke der OEM und klassischen Servicepartner. Denn innerhalb der ersten vier Jahre nach dem Neuwagenkauf bleibt der größte Teil der Kunden bei Servicearbeiten seiner Markenwerkstatt treu. Hier können die OEMs ansetzen und dem Kunden ein durchgängiges und positives Erlebnis vermitteln, ihm mehr bieten als er erwartet, um so freien Werkstätten oder Online-Serviceportalen Paroli zu bieten. Connected Services sollen die Lösung sein. Kunde, Auto und Werkstatt sind per App eng miteinander verbunden, prädiktive Wartung, die einem Ausfall eines Bauteils zuvorkommt oder Fehlerbehebung per Software-Update per Funk oder over-the-air, können die Kundenbindung an die Werkstatt verbessern.
Flottenmanagement wird wichtiger
Außerdem zeichnet sich eine neue Mobilitätswelt ab, die völlig neue Geschäftsmodelle benötigt. Denn Robotaxi Flotten und Mobility as a Service-Fahrzeuge wollen auch gewartet werden. In den nächsten zehn Jahren sollen in USA, China und Europa etwa 20 Millionen weitgehend autonome Fahrzeuge für professionelle Mobilitätsdienstleistungen auf die Straße kommen. Berylls hat für sie ein Umsatzpotenzial für neue Aftersales-nahe Dienstleistungen von bis zu 320 Milliarden Euro errechnet. Schließlich werden diese Mobile fast permanent genutzt und erreichen pro Jahr eine Laufleistung von voraussichtlich 100.000 Kilometern und müssen daher entsprechend häufig gecheckt werden. Daraus ergeben sich Betreibermodelle, die diese Fahrzeuge laden, reinigen, reparieren und bei Nichtbedarf parken. Immerhin können Anbieter, die sich hier engagieren und so genannte Hubs für diese Flotten betreiben, den Wegfall von Ölwechseln und Zündkerzentausch kompensieren.