Bei der Erfüllung globaler Nachhaltigkeitsstandards ist die Automobilbranche Unternehmen aus anderen Branchen zwar voraus, doch ist das Thema nicht immer in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie verankert. Darüber hinaus reichen die Investitions- und Umsetzungsniveaus sowie die Steuerung der Nachhaltigkeit noch nicht aus, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Das geht aus der aktuellen Studie des Capgemini Research Institute „The Automotive Industry in the Era of Sustainability“ hervor, für die weltweit mehr als 500 Führungskräfte aus Automobilunternehmen und 300 Nachhaltigkeitsexperten befragt wurden.
Die Studie zeigt, dass die Automobilindustrie bei ihren derzeitigen Investitionen einen Rückstand von 20 Prozent aufholen muss, um die festgelegten internationalen Klimaziele zu erreichen. Zudem können nur 9 Prozent der analysierten Automobilunternehmen als „leistungsstarke Nachhaltigkeitsführer“ eingestuft werden, 91 Prozent haben die Reife noch nicht erreicht und 26 Prozent von ihnen gelten als „Nachzügler“. Mehr als die Hälfte der führenden Unternehmen stammt aus Deutschland (28 Prozent) und den USA (26 Prozent); in der Regel sind dies große Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 25 Milliarden US-Dollar.
Automobilunternehmen machen Fortschritte bei der Nachhaltigkeit
Das Thema Nachhaltigkeit hat in der Automobilindustrie sowohl als Gesprächsthema als auch hinsichtlich seiner geschäftlichen Priorität an Bedeutung gewonnen. So hat sich die Anzahl der Investorenveranstaltungen mit Nachhaltigkeitsbezug in der Automobilbranche von 142 im Jahr 2015 auf 320 im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. 62 Prozent der befragten Autounternehmen gaben aber an, über eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie mit klar definierten Zielen und Zeitplänen zu verfügen, lediglich 8 Prozent entwickeln momentan eine solche Strategie. Nachhaltigkeitsexperten schreiben der Branche im Allgemeinen zu, dass sie bei der Sicherstellung der globalen Nachhaltigkeit entweder anderen Industrien voraus (46 Prozent) oder mit ihnen gleichauf (19 Prozent) ist.
Die Studie zeigt jedoch, dass die Autobranche sich in punkto Nachhaltigkeit ein deutliches Verbesserungspotenzial gibt: So wurden die Fortschritte der Unternehmen bei 14 Initiativen analysiert, die alle Bereiche der Wertschöpfungskette abdecken. Diese reichen von einer nachhaltigen F&E und Produktentwicklung bis hin zur Unterstützung und Förderung der Kreislaufwirtschaft. Die Gewichtung der verschiedenen Initiativen ist dabei sehr unterschiedlich: 52 Prozent der Unternehmen arbeiten zwar an Programmen zur Kreislaufwirtschaft, aber nur 8 Prozent an der Nachhaltigkeit im IT-Bereich.
Milliardeninvestitionen notwendig, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen
Nachholbedarf gibt es auch beim Thema Unternehmensführung, denn nur 44 Prozent der Unternehmen verfügen über ein zentrales Gremium, das sich der Überwachung von Nachhaltigkeitszielen widmet, und 45 Prozent geben ihren wichtigsten Führungskräften spezielle Ziele vor. Insgesamt haben nur 19 Prozent mindestens vier quantifizierbare Ziele, die auf Bereiche ausgerichtet sind, die sich am stärksten auf die Nachhaltigkeitsleistung auswirken (wie z.B. Abfallrecycling, Frischwasserverbrauch und ethische Arbeitsrichtlinien). Damit Automobilunternehmen die internationalen Nachhaltigkeitsziele wie das Pariser Klimaabkommen oder den neuen europäischen „Green Deal“ erreichen, sind zusätzlich zu den derzeitigen Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie in Elektrofahrzeuge und Mobilitätsdienstleistungen weitere geschätzte 50 Milliarden US-Dollar notwendig.
Elektrofahrzeuge und Kreislaufwirtschaft
Ein wesentlicher Teil der Nachhaltigkeitsprogramme in der Automobilindustrie ist die Reduzierung der Treibhausgasemissionen (THG). Elektrofahrzeuge haben hierauf einen nicht unerheblichen positiven Einfluss. Um diesen Einfluss über die gesamte Lebensdauer von Elektrofahrzeugen zu erhalten, ist es wichtig, dass sie von erneuerbaren Energien gespeist werden. Der Capgemini-Studie zufolge planen jedoch nur 15 Prozent der Automobilhersteller die Bereitstellung einer Ladeinfrastruktur für die Stromversorgung von Elektrofahrzeugen mit erneuerbaren Energien.
Weitere Faktoren machen es erforderlich, dass sich Unternehmen beim Bau von Elektrofahrzeugen stärker auf Nachhaltigkeit fokussieren: zum einen die höhere CO2-Bilanz der Batterieproduktion im Vergleich zur Produktion fossiler Kraftstoffe und zum anderen ein begrenztes Angebot an Lithium und seltenen Erdmetallen. Letztlich werden die Kreislaufwirtschaft, die eine längere Lebensdauer von Fahrzeugen und Teilen ermöglicht, sowie neue Geschäftsmodelle entscheidend dazu beitragen, dass Elektrofahrzeuge ihr Nachhaltigkeitspotenzial ausschöpfen können.
Eine der effektivsten Möglichkeiten, wie Automobilunternehmen nachhaltiger werden können, ist die Einführung einer Kreislaufwirtschaft. Dies betrifft viele Schlüsselbereiche der Nachhaltigkeit – von der Supply Chain bis hin zu Recycling, Beschaffung und After-Sales. Bekannte Automobilmarken haben bereits die Wirksamkeit dieses Ansatzes vorgeführt. Michelin verwertet z.B. 85 Prozent seiner alten Lkw-Reifen wieder. Diese werden im britischen Werk runderneuert, was 60 kg CO2-Emissionen pro Reifen einspart. GM hat aus dem Verkauf von wiederverwertbarem Abfall eine Milliarde US-Dollar erzielt.
„Damit sich die Automobilbranche zu einer nachhaltigen und umweltfreundlicheren Industrie entwickeln kann, müssen Autofirmen das tatsächliche Potenzial von Elektrofahrzeugen ausschöpfen und Nachhaltigkeit im Unternehmen verankern. Darüber hinaus gilt es, stärker in die Kreislaufwirtschaft zu investieren, um von Kostenvorteilen und der Wiedervertertung von Ressourcen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu profitieren“, sagt Jacqueline Wild, Head of Practices and Innovation bei Capgemini Österreich.