Nicht nur für Vertriebsmitarbeiter, sondern auch für Führungskräfte im Vertrieb gilt: Sie entwickeln im Verlauf ihrer beruflichen Biografie gewisse Denk- und Verhaltensroutinen. Diese sind im normalen Arbeitsalltag durchaus nützlich, weil sie oft ein schnelles Entscheiden und Handeln ermöglichen. Anders sieht es jedoch aus, wenn sich die Rahmenbedingungen im Markt oder Unternehmen fundamental wandeln – beispielsweise durch die fortschreitende Digitalisierung oder wie in den zurückliegenden Monaten bedingt durch Corona. Dann werden die Denk- und Handlungsgewohnheiten, die in der Vergangenheit nicht selten den Erfolg garantierten, häufig zu einem Hemmschuh, der die Entscheider daran hindert, die veränderte Ist-Situation in ihrer Tiefe zu analysieren und hierauf aufbauend neue Handlungsstrategien zu entwerfen. Hier kann ein Business-Coach Unterstützung bieten.
Ist-Situation und bestehende Routinen reflektieren
Dann empfiehlt es sich mit einer neutralen Person, außer der veränderten Ist-Situation die eigenen Denk- und Verhaltensroutinen zu reflektieren, um die gewohnten Reiz-Reaktions- bzw. Handlungsmuster zu durchbrechen und zu neuen Problemlösungen zu gelangen.
Diese „neutrale Person“ sollte in der Regel nicht derselben Organisation wie zum Beispiel der Vertriebsleiter angehören, denn: Nicht nur Personen, sondern auch Organisationen entwickeln Denkroutinen, die beispielsweise zu einer bestimmten Art des Analysierens, Bewertens und Lösens von Problemen führen. Hinzu kommt: Gerade in Krisen- bzw. Marktumbruchzeiten haben Führungskräfte neben einer Entscheider-, auch eine Leaderfunktion. Das heißt, sie müssen ihren verunsicherten Mitarbeitern Orientierung und Halt geben. Dazu brauchen sie einen wohl durchdachten Fahrplan mit neuen Impulsen, wie es weitergehen soll – auch um die Zuversicht und Gelassenheit auszustrahlen, die ihre Mitarbeiter von ihnen erwarten.
Deshalb tauschen sich Vertriebschefs speziell in Krisen- und Marktumbruchzeiten oft mit einem vertriebs- und führungserfahrenen Business-Coach aus, um ihre bereits vorhandenen Ideen, wie es weitergehen soll, zu überprüfen und abzusichern und/oder um Alternativen und neue Wege zu entdecken, denn: Erfahrene Vertriebschefs wissen, dass Erfahrung eine Medaille mit zwei Seiten ist und kennen die Gefahr einer Betriebsblindheit.
Durch Fragen zu Selbsterkenntnis und Souveränität
Schon Sokrates wusste: Fragen führen zu Selbst-Erkenntnis, und diese ist die Grundlage für ein gesundes Selbst-Bewusstsein. Dieses Sich-selbst-bewusst-sein unterstützt wiederum die Selbst-Sicherheit, die zur Souveränität führt. Dementsprechend schult ein Coach nicht. Er fragt viel und wird so zu einem Beschleuniger von Erkenntnissen, Erfahrungen und Kompetenzen.
In Führungsseminaren wird oft nur grundsätzliches Wissen vermittelt, um dieses danach bei Bedarf in der Praxis anzuwenden. Anders ist dies beim Business-Coaching: Hier sind die Ist-Situation und die aktuellen Aufgabenstellungen des Coachees, also der gecoachten Person, der Ausgangspunkt. Pragmatisch werden hierfür beim Business-Coaching im Dialog die Handlungsoptionen bzw. mögliche Problemlösungen. ermittelt. Dabei gilt: Der Business-Coach entscheidet nichts; er führt nur Entscheidungen herbei.
Deshalb sollte ein Vertriebs-Business-Coach außer Feld- bzw. Praxiserfahrung auch eine hohe Beratungs-, Coaching- und Methoden-Kompetenz haben. Außerdem sollte er selbst einen Perspektiv- und Rollenwechsel vornehmen können; also bei Bedarf auch mal in die Chef-Rolle, Mitarbeiter-Rolle, Kunden-Rolle sowie natürlich Berater-Rolle schlüpfen können.
Generell gilt: Im Coachingprozess steht nicht der Coach, sondern der Coachee mit seinem Anliegen im Mittelpunkt. Ein guter Coach muss sich deshalb auch als Person zurücknehmen können. Das heißt unter anderem, er kann und soll mit dem Coachee zwar Fragestellungen durchaus kontrovers bzw. polarisierend diskutieren, um zu mehr Klarheit zu gelangen. Er darf jedoch nicht pikiert sein, wenn der Coachee bei seiner Meinung bleibt. Dasselbe gilt, wenn der Coachee seine „wertvollen Tipps und Hinweise“ regelmäßig nicht annimmt oder umsetzt, denn: Der Coachee ist und bleibt der Entscheider, der die Verantwortung trägt; der Coach ist primär ein Katalysator. Es kommt also im Coachingprozess nicht so sehr darauf an, was ein Coach sagt; entscheidend ist, was er damit beim Coachee auslöst bzw. bewirkt. Ein erfahrener Coach greift deshalb im begründeten Einzelfall auch gezielt zu sogenannten paradoxen Interventionen – zum Beispiel, um den Coachee aus seiner „Problemtrance“ zu reißen und Widerspruch zu provozieren.
Der 12-Punkte-Leitfaden für den Business-Coach
Hier ein möglicher Leitfaden, mit dem ein Coach ein Business-Coaching zielführend gestaltet und steuert.
1. Thema formulieren: Zum Beispiel: „Umsatzeinbruch“
2. Ausgangs-Situation darstellen: Zum Beispiel:
- „Bisher haben wir….“
- „Jetzt ist…“
- „Wenn das so weitergeht, dann.…“
3. Zu klärende Fragen formulieren: Zum Beispiel:
- „Welche möglichen Ursachen sind denkbar …?“
- „War Corona die Ursache oder nur der Auslöser?“
- „Welche Wechselwirkungen gilt es zu beachten?“
- „Wo sehe ich Potenziale und Chancen…?“
4. Die Fragen in Punkt 3 nochmals gegenchecken oder gegebenenfalls neuformulieren: Zum Beispiel: Ist die Schlüsselgröße wirklich der erzielte Umsatz oder der Gewinn bzw. Marktanteil?
5. Eine Leitfrage für die Kern-Aufgabe formulieren: Zum Beispiel: „Wie können wir unseren Umsatz profitabel steigern?“
6. Die Fragen unter Punkt 3 beantworten.
7. Ein unbewertetes Brainstorming zu Handlungsideen: Zum Beispiel:
- Neue Kunden / ehemalige Kunden / Wettbewerberkunden gewinnen
- Mehr Seriviceleistungen verkaufen
8. Kriterien für die Auswahl der weiterzuverfolgenden Handlungsideen formulieren: zum Beispiel:
- „Erfordern wenig Vorinvestitionen“
- „Ist mit vorhandener Mannschaft realisierbar“
9. Realistische und zielführende Handlungsideen auswählen und detaillieren.
10. (Vorläufige) To-do-Liste „Wer macht was bis wann?“ erstellen.
11. Mögliches Monitoring der To-do‘s bzw. der Zielerreichung definieren.
12. Zentrale Erkenntnisse aus dem aktuellen Business-Coaching für das künftige Vorgehen fixieren.
Business-Coaching – individuell oder im Team
Solche Business-Coachings finden meist als Einzel-Coaching statt. Sie können jedoch auch als Teamcoaching (bis ca. 4 Personen) durchgeführt werden – entweder „sortenrein“ nur mit Führungskräften im Vertrieb oder interdisziplinär, sodass das Team zum Beispiel auch Führungskräfte aus dem Marketing, dem Kundendienst, der Produktion, dem Einkauf, dem Controlling oder der IT umfasst.
Interessant und wertvoll können auch kontrolliert zusammengestellte Kleingruppen aus unterschiedlichen, nicht konkurrierenden Firmen derselben Branche oder verschiedenen Branchen sein. Grundsätzlich können Business-Coachings als Präsenzveranstaltungen und/oder online durchgeführt werden.
Verdecktes Doppel-Coaching zur Personalentwicklung
Eine sinnvolle Variante kann auch ein verdecktes Doppel-Coaching sein. Ein Beispiel: Der CSO oder Geschäftsführer Vertrieb gibt einem neu ernannten Vertriebsleiter, einem High Potential ohne viel Führungs- oder Felderfahrung, aktuelle Aufgabenstellungen ins Coaching mit, die dieser dort neben seinen eigenen Fragestellungen bearbeiten soll.
Nach dem Coaching-Termin lässt sich der Vertriebschef vom Coachee die erarbeiteten Erkenntnisse und Handlungsoptionen präsentieren und erklären und erörtert sie mit ihm. Mit dieser Coaching-Variante schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe, und es wirkt beim Coachee das Prinzip „Lernen durch Lehren“.
Der Autor Peter Schreiber ist Managementberater und Business-Coach für B2B-Vertrieb.
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