Vom Immobilienentwickler zum CO₂-freien Energieversorger. Woher kam der plötzliche Sinneswandel?

Herbert Hetzel: Es war eine recht einfach Erkenntnis: Wir müssen das Thema „Klimawandel“ angehen, sonst haben wir 2045 keine Blätter mehr auf den Bäumen. Als Immobilienentwickler tragen wir die Verantwortung dafür, wie gut oder wie schlecht unsere Projekte in die Zukunft passen. Lange Zeit war es Stand der Technik, die Energieversorgung von Immobilien durch Anschlüsse an die Infrastruktur der traditionellen Energieversorger sicherzustellen. Im Zuge der Projekte im Viertel Zwei (Stadtteil von Wien, Anm.) habe ich erkannt, welche Nachhaltigkeitspotentiale eine standortorientierte und regenerative Energieversorgung hat.
Warum haben Sie als erstes Projekt gleich ein riesiges Büro- und Wohnbauprojekt gewählt?
Die Frage haben wir uns nicht nur einmal gestellt. Wagen wir es, eine prototypische Energieversorgung auf rund 120.000 m² Nutzfläche auszurollen? Ehrlich? Rückblickend gesehen war das sehr risikoreich und wir haben bei der Umsetzung des ersten Projektes auch Fehler gemacht. Aber dennoch war das Projekt erfolgreich!

Wie funktioniert denn die technische Lösung der Beyond Carbon Energy?

Vereinfacht erklärt: wir verschieben die überschüssige Energie vom Sommer in den Winter. Hierzu werden Erdwärmesonden 150 Meter tief platziert. Im Sommer wenn das Gebäude gekühlt wird, entsteht Abwärme, die normalerweise einfach an die Umgebungsluft abgegeben wird. Wir aber speichern diese ungenutzte Wärmeenergie in der Erde im saisonalen Energiespeicher. Im Winter dreht sich dann das Ganze um, da entnehmen wir die Wärme aus dem saisonalen Speicher und heizen damit. Die einzelnen Baukörper werden über ein Anergienetz miteinander verbunden – also einem Leitungsnetz für den Transport von Wärme und Kälte auf niedrigem Temperaturniveau. Die Stromversorgung für die Wärme- und Kälteproduktion erfolgt, wenn möglich, über Photovoltaik- und/oder Kleinwindkraftanlagen.
Warum der Fokus auf die Beheizung/Kühlung der Gebäude?

Die Wärme- und Kälteversorgung ist für circa 40% des CO₂-Ausstoßes im Immobilienbereich verantwortlich. Hier kann man daher mit sinnvollen und innovativen Lösungen am meisten einsparen, vor allem aber ohne erhebliche Mehrkosten und ohne Komfortverlust. Das erleichtert wesentlich die Erreichbarkeit unserer Klimaziele. Im Gegensatz dazu würde selbst ein „Verzicht“ auf elektrischen Strom – unabhängig vom damit verbundenen Lebensqualitätsverlust – derzeit nicht ausreichen, um unsere Klimaziele zu erreichen. Im Moment sind die Möglichkeiten der Einsparung von Treibhausgasen im Bereich der Wärme- und Kälteversorgung um ein Vielfaches größer als im Bereich der Stromversorgung.
Tiefbohrungen und dann das Erdreich aufheizen und wieder abkühlen – hört sich nicht besonders nachhaltig an?
Ja, wir machen Erdbohrungen, aber wir entziehen der Erde nur jene Energie, die wir vorher runtergeschickt haben. Man darf sich das nicht wie bei der Erdölförderung vorstellen. Wir greifen hier auch nicht auf Thermalwasser zu. Wir sorgen dafür, dass die Wärme, die beim Kühlen entsteht, nicht einfach abgelüftet wird und lagern sie in der Erde ein, und zwar mit verhältnismäßig bescheidenen Temperaturen. Wir fahren in der Kühlsaison mit maximal 30 Grad warmen Wasser in das Erdreich und dieses erwärmt sich dann auf etwa 28 Grad. In der Heizsaison erreichen wir Wassertemperaturen von etwa 8 Grad. Natürlich hat auch diese Intervention einen „ökologischen Effekt“, keine Frage, aber aus unserer Sicht scheint dieser Effekt vertretbar, vor allem im Vergleich zu den derzeitigen Alternativen.

CO₂-freie Energie gibt es wohl nicht umsonst, mit welche Kosten müssen die Verbraucher:innen rechnen?

Unser erklärtes Ziel ist eine CO₂-freie Energieversorgung für Immobilien sicherzustellen und dies zu weitestgehend marktüblichen Preisen. Wir bieten unser Produkt also preislich ähnlich zum Mitbewerb an. Das heißt, jeder der von uns Wärme/Kälte bezieht, hat, ohne Komfortverlust, bei marktüblichen Kosten, bis zu 3,5 Tonnen CO₂ im Jahr eingespart. Die Installation des Systems ist natürlich kostenintensiver als andere Systeme. Die lange Lebensdauer unserer Anlagen erlaubt aber, diese Mehrkosten wirtschaftlich darstellen zu können. Wichtig ist uns aber, dass wir auch langfristig CO₂-frei Wärme und Kälte bereitstellen können und nicht auf „CO₂-neutral“ zurückfallen. Für „CO₂-neutral“ hätten wir die letzten 30 Jahre Zeit gehabt. Das aber haben wir verabsäumt. Nun müssen wir uns eben mehr anstrengen und uns mit CO₂-freien Systemen auseinandersetzen, um noch rechtzeitig dem Klimawandel entgegenzuwirken.
Nutzen Immobilienentwickler diese Art der Energieversorgung wegen den höheren Kosten eher selten?
Bis vor kurzem war die Energieversorgung von Immobilien weniger im Fokus der Immobilienentwickler oder der institutionellen Investoren. Und gegenüber neuen technischen Entwicklungen sind diese auch zurückhaltend und skeptisch – berechtigter Weise. Der Developer muss die Gewissheit haben, dass er sein Projekt auch verkaufen oder vermieten kann. Da stellen neue Technologien manchmal ein Risiko dar. Darüber hinaus ist die Notwenigkeit höherer Investitionskosten ebenfalls nicht leicht erklärbar. Daher haben wir bei Beyond Carbon Energy einen Business-Case entwickelt, der es für die Developer sowohl technisch-inhaltlich als auch wirtschaftlich attraktiv macht, eine CO₂-frei Wärme- und Kälteversorgung umzusetzen.
Funktioniert dieses System auch in Altbauten oder muss hier die Wärmedämmung erst verbessert werden?

Wir haben 2019 im 17. Wiener Gemeindebezirk zwei Zinshäuser, im Zuge einer Sockelsanierung, auf eine CO₂-freie Wärme- und Kälteversorgung umgestellt. Das war zu diesem Zeitpunkt außergewöhnlich. Zwischenzeitlich wissen wir, dass das tatsächlich großflächig umsetzbar ist, auch wenn die Gebäude nicht umfassend, oder auch gar nicht, saniert werden. Ohne Sanierung wird naturgemäß auch der Energiebedarf nicht reduziert, aber die von uns bereitgestellte Wärme und Kälte ist CO₂-frei, mit allen daraus resultierenden sonstigen Vorteilen wie Versorgungssicherheit, Abkopplung von den Energiepreisentwicklungen an den Energiemärkten, hohe Energieeffizienz der Energieversorgungsanlagen, usw. Unsere Überlegungen führen uns auch zu der Frage: Wenn CO₂-freie Wärme und Kälte unter Anführungszeichen „nichts kostet“, wie würden wir dann bauen? Wenn also in „flat-rate“ Mietmodellen die CO₂-freie Wärme und Kälte bereits pauschal berücksichtigt werden kann – hat das einen einsparenden Einfluss auf die Gebäudeherstellkosten? Und vor allem beschäftigt uns die Frage, wie CO₂-freie Wärme und Kälte nachhaltig auf den Immobilienwert wirkt!
Sanierungen sind doch zentral, um die Klimaziele zu erreichen?
Bei der Sanierung von Gebäuden steht oft die Energieeinsparung im Vordergrund – um eben die Notwendigkeit und Menge fossiler Brennstoffe zu reduzieren. Wenn nun im Zuge unserer Wärme- und Kälteversogung aber gar keine fossilen Brennstoffe für die Wärme- und Kälteversorgung anfallen und wenn die Energieversorgung keine Emissionen verursacht, ist die Triebfeder für die Sanierung nicht mehr die Energieeinsparung. Dann wird saniert, um das aktuelle Wohnbedürfnis zu befriedigen – das ist eine völlig andere Herangehensweise. Plötzlich gibt´s keine Notwendigkeit mehr fragliche Dämmmaterialien oder aufwändige Fensterkonstruktionen zu verbauen. Dazu kommt noch, dass unsere Energieversorgung möglichst durch Niedertemperatur sichergestellt wird und somit bei der Erzeugung und Verteilung allerhöchste Energieeffizienz ermöglicht. Das lässt sich bei Hochtemperatursystemen nur mit hohen Investitionskosten – wenn überhaupt – sicherstellen.
Wäre es möglich mit dem System eine Großstadt wie Wien zu versorgen?
Selbstverständlich wäre das möglich. Deshalb laden wir jeden ein, entweder zum strategischen Partner zu werden oder wir sagen komm vorbei, schau es dir an und mach es selbst. Wir schützen oder patentieren nichts, wir suchen den Gedankenaustausch, wir teilen unsere Erfahrungen gerne. Es ist eher so, dass wir derzeit zu wenige Menschen finden, mit denen wir uns qualifiziert zu diesem Thema austauschen können, damit wir das System möglichst schnell weiterentwickeln und verbreitern.
Was hat Sie in all den Jahren am meisten überrascht?

Ich habe den Fehler gemacht zu glauben, dass wenn wir die technische Lösung haben, die Welt gerettet ist. Das war leider falsch. Die technische Lösung allein reicht nicht. Wenn man das in die Welt bringen will, muss man daraus ein Gesamtkunstwerk machen. Wenn das organisatorische Rahmenwerk rundherum nicht passt, wenn man einer Stelle auslässt, macht es der Developer nicht. Auch auf der Finanzierungsseite ist das zentral. Der Bankpartner muss in diesem Bereich ein „educated financer“ sein, sonst gibt gibt´s keine Finanzierung. Eigentlich wollte ich nur beweisen, dass eine CO₂-freie Wärme- und Kälteversorgung technisch möglich ist und habe erwartet, dass alle gleich auf diesen Zug aufspringen. Heute konzipieren, planen, errichten und betreiben wir die Energieversorgungssysteme. Beyond carbon energy ist ein Energieversorger, ein One-Stop-Shop für Developer und Investoren, die an einer derartigen Lösung interessiert sind.
Welche Projekte hat die Beyond Carbon Energy derzeit in Planung?
Wir nehmen jetzt in der Seestadt Aspern (im Bau befindlicher Stadtteil Wiens, Anm.) die Energieversorgungsanlage für etwa 23.000 Quadratmeter Nutzfläche in Betrieb und wir erweitern laufend die Anlagen im Viertel Zwei. Zusätzlich realisieren wir derzeit unterschiedlichste Projekte in Wien, Niederösterreich und in der Steiermark, für unterschiedlichste Liegenschaftseigentümer. Wir verhandeln eine Vielzahl an Projekten im In- und Ausland und bemerken, dass das Interesse an unserem Produkt rasch zunimmt. Dementsprechend reagieren wir durch Anpassung unserer Unternehmensorganisation, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Darüber hinaus beschäftigen wir uns intensiv mit der Standardisierung und Industrialisierung unseres Produkts, um sowohl für Neubau- als auch für Bestandsimmobilien in naher Zukunft, einfach umsetzbare Lösungen – möglichst zu Marktpreisen – anbieten zu können. Jedenfalls aber CO₂-frei!

Über Beyond Carbon Energy
Die Energieversorgung von Immobilien verursacht einen erheblichen Anteil des – für den Klimawandel verantwortlichen – CO₂-Ausstoßes. Die Mission von Beyond Carbon Energy ist, die Energieversorgung von Immobilien weitestgehend CO₂-frei zu ermöglichen, wobei weder Developer noch Nutzer dafür mehr als bisher dafür zahlen müssen.